Gunther Gram
"Cyclists live with pain – if you can´t handle it you will win nothing!” (Eddy Merckx) – mit dieser Art pain könnte ein Sportler ja noch leben. Aber die pain eines Unfalls bei einem Rennen hat der „Kannibale“, wie er wegen seines Siegeshungers genannt wurde, nicht gemeint, ist aber jedenfalls etwas, woran der Veranstalter eines Rennens denken sollte. Denn irgendjemand denkt dann sicher an Haftung. Und wer haftet, wenn etwas passiert ist? (Und von wegen „Kannibale“ – wir nennen ihn Doktor Merckx, hat ihm doch 2011 die Université libre de Bruxelles das Ehrendoktorat verliehen!)
Zurück zur Frage, wer haftet: Vielleicht ein weiterer Teilnehmer am Radrennen? Schließlich hat doch ganz allgemein jeder andere nicht zu gefährden. Andererseits sind – je nach Sportart – Verletzungsgefahr und Risiko geradezu Wesensmerkmale des Sports. Handlungen (natürlich auch Unterlassungen), die Körperverletzungen zur Folge haben, sind beim Sport somit nur dann rechtswidrig (und haftungsauslösend), wenn damit eine Vergrößerung des schon in der Natur der betreffenden Sportart gelegenen Risikos einhergeht. Wer sich an die Regeln hält, wird selbst dann, wenn er in einen Unfall verwickelt ist, bei dem ein anderer Sportler verletzt wird, nicht haften - auch beim Radrennsport.
Bleibt die Haftung des Veranstalters. Der OGH hat sich in einer aktuellen Entscheidung (2 Ob 5/20d vom 6.8.2020) mit der Haftung der Veranstalter von Radrennen auseinandergesetzt. Für den OGH ist klar, dass mit dem Wettkampf unvermeidliche Gefährdungen für die Beteiligten verbunden sind; das kann auch nicht komplett verhindert werden, wollte man nicht Radrennen überhaupt verbieten.
Veranstalter trifft aber eine Verkehrssicherungspflicht. Sie müssen alle notwendigen Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung der Teilnehmer abzuwenden. Die Sorgfaltspflicht darf freilich nicht überspannt werden – die Grenze ist das Zumutbare. Was zumutbar ist, ist nach der Wahrscheinlichkeit der Schädigung zu beurteilen, aber auch, in welchem Ausmaß die Teilnehmer selbst Gefahren erkennen und ihnen begegnen können. Je größer die Gefahr, umso höhere Anforderungen an die Sorgfalt sind zumutbar. Je größer die potentielle Gefährdung, umso zumutbarer sind auch die vom Veranstalter zu tragenden Kosten einer verstärkten Absicherung. Es geht dabei um (vernünftig und mit Sachverstand) vorhersehbare Gefahren, nämlich was ein umsichtiger und sorgfältiger sowie sachkundiger Veranstalter vorab an Gefahrenquellen einschätzen konnte bzw. hätte können müssen – nachher sind ja ohnehin alle immer gescheiter. Allerdings hat eine Verletzung eines Teilnehmers nicht automatisch eine Haftung zufolge (das wäre dann eine Erfolgshaftung, die eben gerade nicht das Wesen der Verkehrssicherungspflicht ausmacht), sondern haftungsbegründend ist die Sorgfaltsverletzung – also: vorhersehbare Gefahren nicht mit zumutbaren Maßnahmen abzuwenden. Handelt es sich daher um ein Radrennen einer Leistungsklasse, bei dem das Kurvenschneiden üblich ist, muss der Veranstalter damit rechnen, dass Radrennfahrer – jedenfalls im Hauptfeld oder in größeren Gruppen - das Rechtsfahrgebot der StVO nicht einhalten (umso mehr, je kurviger die Abfahrten und je schmaler die Straßen sind). In solchen Situationen ist - so der OGH – die Einhaltung des Rechtsfahrgebots (der Veranstalter hatte eingewandt, dass der verletzte Radrennfahrer das Rechtsfahrgebot missachtet habe) völlig lebensfremd. Die Teilnehmer dürfen sich daher darauf verlassen, dass ein Veranstalter die Strecke so absichert, dass das Hauptfeld oder größere Gruppen nicht mit Gegenverkehr rechnen müssen (und genau das war die Ursache des Unfalls, nämlich ein aus einer Nebenstraße einbiegendes Fahrzeug).
Veranstalter können ihre Verantwortung nicht auf die Teilnehmer übertragen und die eigenen Sicherungsmaßnahmen nur in geringerem Ausmaß wahrnehmen (und sich so von eigenen Sorgfaltspflichten befreien); dies jedenfalls dann nicht, wenn damit Teilnehmern eine Sorgfaltspflicht auferlegt würde, die sie in Anbetracht des konkreten Wettkampfs gar nicht einhalten könnten bzw. deren Einhaltung auch der Veranstalter nicht erwartet. Das wäre ein untauglicher Versuch einer Haftungsbeschränkung. „Es ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung, den Teilnehmern einer rechtlich gebilligten Sportausübung zuwiderlaufende faktisch unrealisierbare Sorgfaltspflichten aufzuerlegen“, so der OGH.
Übrigens: Alle Auflagen in Bewilligungsbescheiden einzuhalten, ist zwar notwendig, aber noch nicht ausreichend, um eine Haftung als Veranstalter auszuschließen. In solchen Bescheiden ist oft die Verpflichtung zu finden, „durch geeignete Maßnahmen die Gefährdung oder Verletzung von Personen zu vermeiden“, woraus schon deutlich wird, dass es dem Veranstalter obliegt, solche geeigneten Maßnahmen zu ergreifen (z.B. temporäre Absperrung aller Zufahrtsstraßen zur Rennstrecke durch einen Ordnerdienst oder Sicherungsposten, koordinierter Einsatz einer Motorradstaffel, Warnschilder).
Was nun konkret zumutbar ist, muss der Veranstalter beweisen. Im Fall des Falles muss daher der Veranstalter eines Radrennens unter Beweis stellen können, dass ein Unfall eines Teilnehmers nicht darauf zurückzuführen ist, dass er als Veranstalter zumutbare Sicherungsmaßnahmen ausgelassen hätte. Hilfreich ist dafür eine detaillierte Risikoanalyse aller potentiellen Gefahrenquellen im Vorfeld der Veranstaltung und der Nachweis, dass die mit der eingehenden Risikoanalyse erkannten Gefahrenquellen auch tatsächlich vor Ort durch organisatorische Maßnahmen sinnvoll entschärft worden sind – ein dann dennoch eintretender Unfall wird dann als schicksalhaft anzusehen sein (und der Prozess ohne Haftung des Veranstalters enden).